Die Fans der Eulen sind geschockt, die Spieler ratlos, der Trainer unter Druck auf der Suche nach raschen Lösungen: Die 28:29 (13:14)-Heimniederlage gegen den Dessau-Roßlauer HV 06 traf die Eulen am Nerv. Der Vorsprung vor dem VfL Lübeck-Schwartau auf Platz 17, dem ersten Abstiegsplatz, beträgt nach 25 von 34 Spieltagen nur noch einen Punkt. Die Eulen sind auf dünnem Eis am Liga-Abgrund unterwegs, die Lage ist ähnlich kritisch wie im Frühjahr 2022. Das Spiel gegen Dessau war als Muss-Spiel ausgerufen und ging komplett in die Hose. „Wir müssen jetzt praktisch alle Heimspiele gewinnen, um drin zu bleiben“, rechnet Alexander Falk vor der nächsten Hausaufgabe hoch. Am Montag, 7. April, 19.30 Uhr, ist die HSG Nordhorn-Lingen zu Gast in der Friedrich-Ebert-Halle.

Dessau zur Pause knapp vorne
Es begann traumhaft gut gegen die Gäste aus der Ludwigshafener Partnerstadt in Sachsen-Anhalt. Nach fünf Minuten führten die Eulen durch zwei Treffer von Freddy Stüber und ein Tor von Kian Schwarzer 3:0. Nach 16 Minuten stand es 9:6. Dann der Knick. Beim Stand von 9:8 unterlief dem top gestarteten Marc-Robin Eisel in der 22. Minute ein folgenschwerer Fehlpass, Rechtsaußen Yannick Pust egalisierte nach Zuspiel von Vincent Bülow. Der 0:3-Lauf der Eulen, die sich fünf schwere technische Fehler in den ersten 30 Minuten leisteten, hinterließ deutliche Spuren im Nervenkostüm. In der 28. Minute ging Dessau erstmals in Führung, der baumlange Shooter Yannick Danneberg traf zum 12:11. Marc-Robin Eisel zum 12:12 und Freddy Stüber zum 13:13 glichen nochmals aus, dann verwandelte Bülow, der im Sommer zu den Eulen wechselt, auch seinen dritten Siebenmeter. So führte der Gast zur Pause 14:13.
Bester Mann: „Vince“ Bülow
Nach dem Seitenwechsel setzten sich die Dessauer ab. Beim Stand von 17:19 donnerte Tim Schaller in der 42. Minute einen Siebenmeter an die Latte, scheiterte beim Nachschuss an Ambrosius. Schaller verwandelte sechs seiner sieben Siebenmeter, unter dem Strich standen 7 von 10 im Arbeitsnachweis des Linksaußen. Nach 46 Minuten führten die Gäste 23:19. Der 3:0-Lauf durch Treffer von Mex Raguse, Tim Schallers Siebenmeter und einem kernigen Abschluss Schwarzers ließ zehn Minuten vor Schluss neue Hoffnung keimen. Aber Eisel (5 von 9) und Schwarzer (6 von 9) scheiterten dann am guten Philipp Ambrosius, der auf elf Paraden kam. Er gewann das Duell gegen Mats Grupe, der fünf Paraden hatte, und Žiga Urbič, der zwei Bälle abwehrte. Die Dessauer, vom überragenden Spielmacher „Vince“ Bülow angeleitet, der gedankenschnell unterwegs war, für präzises Tempospiel bürgte, setzten sich kompromisslos verteidigend ab: 26:22 nach 56 Minuten. In den Schlussminuten versuchten es die Eulen mit offener Manndeckung. Sie kamen noch mal heran, es reichte aber nicht: 28:29.

Ins Verderben gestolpert
Enttäuscht, ja fassungslos, komplett ratlos, stellte sich der engagierte Linksaußen Kian Schwarzer top professionell kurz nach Spielende den Fragen von Journalisten. „Wir verteidigen über weiter Strecken wieder gut. Die Chancenauswertung war dann aber nicht gut“, sagte Schwarzer, der seine Farben unmittelbar nach der Pause „in doppelter Unterzahl“ ins Verderben stolpern sah. „Wir sind dann ja nochmal auf ein Tor rangekommen, sind in Überzahl …“, haderte der stets hoch motivierte Linksaußen, der sich und die Fans pushte, als die Wende nochmals möglich schien. Wie geht er mit dem Druck, den die Tabellenlage mit sich bringt, um? „Ich versuche das im Spiel auszublenden. Ich versuche mein Bestes zu geben“, erklärte Kian Schwarzer, der vor allem von Mex Raguse (3 von 5) gut angespielt wurde. Die Rechtsaußen, erst Alex Falk, der ohne jeglichen Abschluss blieb, dann Theo Straub, dagegen litten Not. Sie bekamen kaum einen Ball! Ein Manko, das zur Niederlage ebenso beitrug wie das nur anfangs gute Kreisspiel. Freddy Stüber (3 von 3) war gut gestartet, dann fehlte ihm das Futter. Das sah auf der Gegenseite besser aus. Tillmann Leu (4 von 4) und Tim Hertzfeld (3 von 4) wurden gut bedient. Auch da hatte der überragende Spielmacher „Vince“ Bülow eine Aktie.

Wie die Feuerwehr gestartet …
„Wir haben im Angriff zu viel verballert“, haderte Alex Falk nach dem Desaster. Dessaus Kapitän Vincent Bülow, ab 1. Juli bei den Eulen unter Vertrag, spielte quasi gegen seine Zukunft. Den Zwiespalt blendete der 29-jährige Musterprofi komplett aus, beeindruckte auf schnellen Beinen mit einer Top-Vorstellung. „Ich konnte keine Rücksicht nehmen, ich musste so spielen“, betonte der Mann mit der Nummer 10. „Vince“ Bülow: „Es war ein Kampfspiel in dem wir auch ein bisschen mehr Glück hatten.“ „Die Eulen sind wie die Feuerwehr gestartet, wir machen in den ersten zehn Minuten sechs technische Fehler“, konstatierte Dessaus Trainer-Fuchs Uwe Jungandreas, der seine Mannschaft aber mit klarer Ansage in der ersten Auszeit auf Kurs brachte. „Wir haben verdient gewonnen“, sagte Jungandreas, der Dessau als Zweitligist übergeben möchte, wenn er sich im Sommer nach elf ereignisreichen Jahren in Richtung Aue verabschiedet. Er war „sehr zufrieden“ mit dem so wichtigen Auswärtssieg und sieht der noch nicht gebannten Abstiegsgefahr ins Auge: „Wir sind eine der acht, neun Mannschaften, die noch nicht wissen,wie es ausgeht …“
Spitz auf Knopf
„Was ich meiner Mannschaft nicht vorwerfen kann, ist, dass sie nicht gekämpft hat“, sagte Eulen-Trainer Johannes Wohlrab nach dem Schlag ins Kontor. „Wir verlieren das Torhüterduell wieder deutlich“, monierte der Coach. In der „unglücklichen Zeitstrafe“ gegen Stüber, die die Mannschaft kurz nach Anpfiff der zweiten Halbzeit in doppelte Unterzahl brachte, machte Wohlrab einen Grund für den vorentscheidenden Rückstand aus. Mit „Spitz auf Knopf“ beschrieb Joh Wohlrab die Tabellenlage: „Jeder Punkt ist Gold wert, um nicht der zu sein, der Siebzehnter ist …“ Das Damoklesschwert namens Abstieg schwebt drohend über den Eulen!
Fotos: Max Krause
